Die Leugnung

Ein Fuchs schlich sich an einen Weinstock heran. Sein Blick hing sehnsüchtig an den dicken, blauen, überreifen Trauben. Er stützte sich mit seinen Vorderpfoten gegen den Stamm, reckte seinen Hals empor und wollte ein paar Trauben erwischen, aber sie hingen zu hoch. Verärgert versuchte er sein Glück noch einmal. Diesmal tat er einen gewaltigen Satz, doch er schnappte nur ins Leere. Ein drittes Mal sprang er aus Leibeskräften – so hoch, dass er auf den Rücken fiel. Nicht ein Blatt hatte sich bewegt. Der Fuchs rümpfte die Nase: „Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben.“ Mit erhobenem Haupt stolzierte er in den Wald zurück.
Aesop, griechischer Sklave und Fabeldichter, um 550 v. Chr.

Kognitive Dissonanz Reduktion (KDR)
Auszüge aus: Jens Christian Heuer, Festingers Theorie der Kognitiven Dissonanz, 15.11.2011 (https://ethologiepsychologie.wordpress.com/2011/11/15/festingers-theorie-der-kognitiven-dissonanz/) (Satzzeichen geändert und Wörter der neuen Rechtsschreibung angepasst).

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Raucher und eine gute Zigarette gehört für Sie einfach zum Leben dazu. Doch immer wieder hören und lesen Sie von den gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens. Und Sie leiden auch bereits unter dem typischen morgendlichen Raucherhusten. Ihr Hausarzt hat Ihnen deshalb schon wiederholt geraten, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Auf den Genuss Ihrer Zigarette verzichten möchten Sie aber ganz und gar nicht! Was also tun? Wie mit diesen einander widerstreitenden Gedanken und Empfindungen – in der Fachsprache der Psychologie zusammenfassend auch Kognitionen genannt – nun weiter umgehen?
Eine solche Konfliktsituation beschreibt Leon Festinger (1919-1989) als Kognitive Dissonanz (KD). Zwei oder mehrere eigene Kognitionen stehen im Widerspruch zueinander und erzeugen ein unangenehmes Gefühl, einen psychischen Missklang (Dissonanz) und dadurch eine innere Spannung, die nach Auflösung verlangt. Das gelingt durch die sogenannte Kognitive Dissonanz Reduktion (KDR) auf zwei Wegen: Entweder werden die schwächeren, leichter veränderlichen Kognitionen gegenüber den stärkeren Kognitionen so umgeändert, dass die Dissonanzen verschwinden oder aber es werden zusätzliche konsonante (wohlklingende) Kognitionen dazu gefügt. Vollendete Handlungen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen und über viele Jahre liebgewonnene Gewohnheiten sind immer mit starken Kognitionen verbunden.
Im Falle des Rauchens wäre es natürlich am besten, ganz damit aufzuhören. Doch oft gelingt das nicht. Es kommt zur Kognitiven Dissonanz Reduktion: Die Informationen über die Gefährlichkeit des Rauchens werden relativiert – „… auch Nichtraucher bekommen immer wieder Lungenkrebs …“ – oder aus dem Bewusstsein verbannt (Verdrängung) oder aber positive Gedanken über das Rauchen (Konsonante Kognitionen) hinzugefügt – „ … wenn ich mit dem Rauchen aufhöre, werde ich zu dick“ … „mein Großvater hat immer geraucht und ist trotzdem 90 Jahre alt geworden.“ usw. Nicht das Handeln wird verändert, sondern lediglich wie man darüber denkt und fühlt!

In dem klassischen Experiment zur Kognitiven Dissonanz von Festinger und Carlsmith (1959) mussten die Versuchspersonen monotone, langweilige und sinnlos erscheinende Tätigkeiten ausüben. (Schrauben in ein Brett drehen und um 90° drehen, Schrauben wieder aus dem Brett herausdrehen usw.).Die Versuchspersonen bewerteten ihre Tätigkeiten natürlich sehr negativ. Nach einer längeren „Arbeitszeit“ war das Experiment (scheinbar) vorüber, und die Versuchspersonen durften gehen. Später wurden sie aber, als „ehemalige“ Teilnehmer des Experiments um den Gefallen gebeten, „neue“ Teilnehmer zu gewinnen und davon zu überzeugen, dass das Experiment nicht langweilig, sondern sehr interessant sei. Einige der „Ehemaligen“ bekamen 20 $ für diesen Gefallen, andere nur 1 $ und ein weiterer Teil, die Kontrollgruppe wurde erst gar nicht darum gebeten. Nach ihrer Überzeugungsarbeit, die ihnen ja eine Lüge abverlangte, wurden die „Ehemaligen“ gebeten, ihre Schrauben-Dreh-Tätigkeit noch einmal rückwirkend neu zu bewerten. Diejenigen, die nur 1 $ bekommen hatten, schätzten diese nun deutlich positiver ein als zuvor und positiver als diejenigen, die 20 $ bekamen oder zur Kontrollgruppe gehörten. Festinger und Carlsmith erkannten eine Kognitive Dissonanz bei den „Ehemaligen“, da diese den „Neuen“ eine Tätigkeit als interessant anpreisen sollten, die sie selber in Wirklichkeit als sehr langweilig empfunden hatten. Die „Ehemaligen“, die 20 $ für ihre Lüge bekamen, sahen darin eine ausreichende (finanzielle) Rechtfertigung. Ihre Kognitive Dissonanz war somit ausgeglichen. Die „Ehemaligen“ aber, die nur 1 $ erhielten, änderten ihre eigenen Ansichten über die zunächst von ihnen als langweilig angesehene Schrauben-Dreh-Tätigkeit. Da sie für ihre Lügen gegenüber den „Neuen“ keine ausreichende (finanzielle) Rechtfertigung gehabt hatten, blieb ihre Kognitive Dissonanz offensichtlich bestehen und führte dann zur Einstellungsänderung.

Laut Festinger und Carlsmith halten viele Menschen eher eine zunächst offensichtliche Lüge nach einiger Zeit für wahr, als ohne ausreichende Rechtfertigung bewusst zu lügen, wenn sie denn mit Nachdruck dazu aufgefordert werden!
Aronson und Carlsmith (1963) experimentierten mit drei- bis vierjährigen Kindern. Zunächst wurde festgestellt wie beliebt verschiedene angebotene Spielzeuge bei den Kindern waren. Dann verbot der Versuchsleiter den Kindern während seiner Abwesenheit ein bestimmtes, sehr beliebtes Spielzeug zu benutzen. Dazu wurde die Gruppe der Kinder zweigeteilt. Bei der einen Hälfte war das Verbot sehr streng mit der Androhung einer Strafe. Bei der anderen Hälfte war das Verbot eher eine freundliche Bitte. Der Versuchsleiter verließ anschließend für eine Weile den Raum. Alle Kinder hielten sich an das Verbot. Dann wurden erneut bei allen Kindern festgestellt, wie beliebt die verschiedenen Spielzeuge waren. Bei den Kindern mit dem strengen Verbot änderte sich nichts, doch bei den Kindern mit dem freundlichen Verbot hatte die Beliebtheit des verbotenen Spielzeuges gegenüber den anderen Spielzeugen deutlich abgenommen.
Das Verbot hatte in beiden Fällen die Kinder dazu gebracht, gegen ihre eigene innere Einstellung zu handeln, denn sie hatten das von ihnen eigentlich gewünschte Spielzeug ja gemieden. Eine Kognitive Dissonanz enstand aber nur bei denjenigen Kindern, welchen das gewünschte Spielzeug denen auf eine sanfte Art verboten worden war, denn hier fehlte eine gute Begründung sich an das Verbot zu halten. Genau diese Begründung bekamen aber die anderen Kinder durch das strenge Verbot!

Zur Vertiefung: Auschwitz-Leugnung:

Das Gerichtsdrama erzählt anhand des Falles David Irving vs. Deborah Lipstadt aus dem Jahr 2000,
Jane Doe: Holocaustleugnung: